CHRISTLICHE MYSTIK IST:
„ cognitio Dei experimentalis“, auf Erfahrung gegründete Gotteserkenntnis. Gott wird nicht nur geglaubt, nicht nur philosophisch erschlossen, sondern seine Existenz wird persönlich im " Ich bin der ich bin da" erfahren. 


HEINRICH SEUSE,
Dominikaner, Mystiker

" Gott hat keinen Ort. Gott ist ein Kreis, dessen Umkreis nirgends und dessen Mittelpunkt überall ist.

EVAGRIUS PONTIKOS

" Das Gebet ist die Abwesenheit jeglicher Gedanken". 


SIMONE WEIL, Philosophin und Mystikerin

" Mit reiner Liebe lieben heißt, in den Abstand einwilligen".

" Die Wahrheit lieben, heißt die Leere ertragen… Diese Leere ist voller als jegliche Fülle."

"Um die gänzliche Ablösung zu erreichen genügt das Unglück nicht.
Hierzu bedarf es eines Unglücks ohne Tröstung.
Man darf keinerlei Trost haben. Keinerlei vorstellbaren Trost. Dann steigt die unaussprechliche Tröstung hernieder…Das ist auch die Hinnahme des Todes… Zurückschrumpfen auf den Punkt, den man in Raum und Zeit einnimmt. Auf nichts. Völlige Einsamkeit."

" Gott und das Übernatürliche sind im Universum verborgen und gestaltlos. .."

" Ein von Gott inspirierter Mensch ist ein Mensch, dessen Verhaltensweisen, Gedanken und Gefühle durch ein Band verknüpft sind, das sich der Vorstellung entzieht."

" Das Heilige im Menschen ist das unpersönliche in ihm."

 MEISTER ECKHART, Dominikaner, Mystiker

"Wer werden will, was er sein sollte, der muß lassen, was er jetzt ist."

 
„Alles was du von deinem Gott denkst und sagst, das bist du mehr selber als Er.“


"Denn, liebst du Gott, wie er Gott, wie er Geist, wie er Person, wie er Bild ist, das alles muss weg.- Wie denn aber soll ich ihn lieben ? Du sollst ihn lieben wie er ist, ein Nicht – Gott, Ein Nicht – Geist, Eine Nicht – Person, ein Nicht – Bild, mehr noch: Wie er lauteres, reines, klares Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit – und in diesem Einen sollen wir ewig versinken – vom etwas zum Nichts."
 

"Das Auge,  in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, in dem Gott mich sieht. Gottes Auge und mein Auge ist ein Auge."
 

"Der Geist soll also frei sein, daß er an allen nennbaren Dingen nicht hange und daß sie nicht an ihm hangen. Ja, er soll noch freier sein: also frei, daß er für all seine Werke keinerlei Lohn erwarte von Gott. Die allergrößte Freiheit aber soll dies sein, daß er all seine Selbstheit vergesse und mit allem, was er ist, in den grundlosen Abgrund seines Ursprungs zurückfließe."
 

"Denke nicht, dein Heil zu setzen auf ein Tun!  Man muß es setzen auf ein Sein."
 

„Wenn ein Mensch tausend Todsünden begangen hätte, und es wäre ein solcher Mensch in rechter Verfassung, so dürfte er nicht wünschen, er hätte sie nicht begangen.“
 

"Wer in allen Räumen zu Hause ist, der ist Gottes würdig, und wer in allen Zeiten eins bleibt, dem ist Gott gegenwärtig, und in wem alle Kreaturen zum Schweigen gekommen sind, in dem gebiert Gott seinen eingeborenen Sohn."
 

"Wer Gott selbst lästert, lobt Gott."
 

"Wer diese Rede nicht versteht, der bekümmere sein Herz nicht damit. Denn solange der Mensch dieser Rede nicht gleicht, solange wird er diese Rede nicht verstehen. Denn es ist eine unverhüllte Wahrheit, die da gekommen ist aus dem Herzen Gottes unmittelbar."
 

"All jene Bilder und Vorstellungen aber sind der Balken in deinem Auge. Drum wirf sie hinaus, alle Heiligen und Unsere liebe Frau aus Deiner Seele, denn sie alle sind Kreaturen und hindern dich an deinem großen Gott."
 

"Es deuchte einem Menschen wie in einem Traume - es war ein Wachtraum -, er würde schwanger vom Nichts wie eine Frau mit einem Kinde, und in diesem Nichts ward Gott geboren" (332,8ff)
 

"Wie kann mir das Leiden ein Leid sein, wenn mein Leid in Gott und mein Leid Gott ist."
 

"Was der Mensch liebt, ist der Mensch. Liebt er einen Stein, so ist er ein Stein. Liebt er einen Menschen, so ist er ein Mensch. Liebt er Gott jetzt wage ich nicht weiter zu sprechen....."

 JOHANNES KLIMAKOS

" Gebet heißt nichts anderes, als das Herausgehen aus der sichtbaren in die unsichtbare Welt" 

PAUL CELAN

" Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele".
 

JOHANNES VOM KREUZ, Karmelit, Mystiker

 OHNE HALT UND DOCH GEHALTEN

ohne Licht im Dunkel lebend,

werde ich mich ganz verzehren.

Losgelöst ist meine Seele.

Nichts geschaffenes hält sie fest.

Über sich hinausgehoben

schmeckt sie Leben - wie noch nie.

Gott alleine gibt ihr Halt.

Das, was ich am meisten schätze,

ist, dass ich mich jetzt schon sehe

ohne Halt und doch gehalten.

Finsternis lässt mich erdulden

dieses Tod - geweihte Leben.

Dennoch ist mein Schmerz nicht groß,

weil, auch wenn das Licht mir fehlt,

ich ein himmlisch Leben lebe.

Solch ein Leben schenkt die Liebe.

Und je blinder diese Liebe,

um so mehr geb ich mich hin,

ohne Licht im Dunkel lebend.

Alles dies bewirkt die Liebe.

Seit ich endlich sie erkannte,

macht das Gute und das Böse

sie zu einem zarten Duft,

weil sie mich in sich verwandelt.

Schnell mit ihrer duftend Flamme,

ohne dass was übrig bleibt,

werde ich mich ganz verzehren.“


IN EINER DUNKLEN NACHT 

Um mich Dunkelheit und Nacht

In mir Angst und Sehnsucht.

Liebe. Feuer.

O welch ein Glück.

O welch ein Abenteuer.

Ich entwich, blieb ungesehn,

ließ mein Haus in Ruhe stehn.

Dunkel war es, aber sicher.

Ich vermummut.

Geheim die Leiter.

O beseligendes Glück.

Dunkel war es.

Ich verborgen.

Ließ mein Haus in Ruhe stehn.

Nacht voll Glück und Seligkeit.

Verborgen alles: Niemand sah mich.

Ich sah nichts.

Geführt vom Licht

in meinem Herzen.

Dieses Licht führte mich

sicherer als das Mittagslicht

Dorthin wo – das wusste ich –

EINER auf mich wartete,

keiner aber sonst erschien.

Nacht DU führtest mich.

Nacht.

Mir lieber als das Morgenrot.

Nacht.

Du schenktest Einssein

der Geliebten des Geliebten

der in sich sie wandelte.

An mein Herz sich schmiegend

das nun voller Blüten war

nur für IHN bereitet

schlief ich ein und ich beschenkte IHN

Kühlung brachte der Zedernfächer.

Lüfte von der Festung Zinne

Streiften IHM das Haar

Streiften mir den Hals

Sanft und doch versehrend

ließen schwinden mir die Sinne.

Bei ihm bleibend mich vergessend

Mich zum Geliebten neigend

Gab ich mich auf.

Meine Leiden schwanden

Vergessen unter Lilien.“
   

JEAN DE SAINT SAMSON , blinder Karmelit, Mystiker

Übersetzt von Prof. Dr. Elisabeth Hense T.OCarm. und Dr. Edeltraud Klueting T.OCarm.

Dieser Text kann gesprochen auf CD erworben werden:
Sprecher: Ursula Albrecht und Frank Albrecht.

1. Mein Geschwisterkind, wer auch immer du bist, dem diese Schrift in die Hände fällt — wundere dich nicht darüber, was du hier lesen wirst, wenn dich der Titel dieser Schrift zumindest zum Lesen bewegt, wie es wohl sein könnte. Sie handelt von der Erhabenheit des Gegenübers und vom Ich im Gegenüber, und von der abgründigen Tiefe des Gegenübers und vom Handeln des verliebten Ich, und von der Liebe des Gegenübers in seinem Ich und des Ich in seinem Gegenüber. Für niemanden ist dies geschrieben außer für den, der hiervon berührt wird, weil er zu Liebe geworden ist. Lass auf sich beruhen, was du von diesem Traktat nicht begreifst ... Lass es auf sich beruhen, ohne dein Gehirn noch einmal damit abzuplagen, es herausfinden und verstehen zu wollen, denn dies kann nicht mit dem Gefühl oder dem Verstand erfasst werden, sondern nur mit der Liebe, in aller Einfachheit... Es geht letztendlich darum, dass du hierin die gegenseitige Liebe des Bräutigams zur treuen Braut sowie der Braut zum Bräutigam finden wirst. Wenn du dies in gewisser Weise auch in dir selbst spürst, in der Glut deines liebevollen Verlangens, ganz unersättlich nach der Liebe des Bräutigams, wirst du keinen Anstoß nehmen an dem, was du in diesem Traktat findest. Wenn du aber nichts davon spürst und es dir ganz fremd ist, wird dich dies wohl kaum berühren, auch nicht durch tiefgründiges Erwägen oder dergleichen. Doch kannst du dich tief von dir selbst lösen und mit Demut hinabsteigen zu der Sehnsucht und Neugier einfacher Menschen. Dann wirst du vielleicht Geschmack daran finden und deinen Verstand süß hierzu hindrängen lassen. Es ist mir ganz gleich, ob du oder irgendein anderer mit mir teilt oder versteht und begreift, was ich hier oder anderswo geschrieben habe. Denn jede Wahrheit offenbart sich nach ihrer eigenen Vorliebe und in der ihr eigenen Weise mehr oder weniger oder gänzlich, wem sie will. Sie offenbart sich ebenso demjenigen, der sie selbst erfahren hat, wie den Mitmenschen, die von ihr nur Kennt­nis haben.

Die Strophen der Braut

2. Was nun mein Liebster und mein Leben, mein kostbares Leben und mein Du? Bist du nicht sehr berührt von mir? Ja, das muss wohl so sein und ich zweifle nicht daran, denn sonst wärest du niemals Fleisch von meinem Fleisch und Bein von meinem Bein geworden[1]. Auch hättest du sonst niemals deine alles erfüllende Unendlichkeit auf das Maß meiner Menschlichkeit erniedrigt, um mich zu wählen, mit allem, was daraus folgt, und das ist ungemein viel. Sag mir, mein Leben, wäre es nicht angebrachter, dass die Seraphim ihre Bewunderung für dieses unsagbare Geheimnis ausdrücken, als dass ich das tue, die hierüber nur stammeln kann? Und muss man nicht staunen, dass die Betrachtung deiner mir gegen­über stehenden Schönheit, in mir und für mich zu einer mitreißenden Freude geworden ist, über die man sich nicht genug wundern kann, wie es die Folge der Liebe ist, die ihr Gegenüber in sich selbst hineinreißt? Ganz und gar aufmerksam genießt die Seele dich und deine Göttlichkeit, die sie in dir für sich findet.


3. Wenn sich der unsagbare Genuss, der du für mich bist, ausdrücken ließe ! Wenn ich das tun will, was ist das dann anders, als mich zum Unmöglichen auszustrecken oder zusammenzuziehen, um auszudrücken, was in dir und in mir über alle Bewunderung hin­ausgeht? Denn in einem Wort ist alles gesagt:   Ich bin Liebe  - aus Liebe  - in Dir. Ja wirklich, die Engel werden noch über meine Ohnmacht lachen, wenn sie sehen, wie ich versuche, mir dich, deine Liebe und deine Schönheit vorzustellen, wobei ich erneut begeistert bin und mitgerissen werde. Was ich in dir bin und will und habe, ist eine Wirklichkeit, die über alles Vorstellbare und über alles Sagbare hinausgeht. Diese Wirklichkeit ereignet sich in dir und in mir, wo du ganz bist.


4. Du bist ja ganz einfach in meinem Fleisch. Damit ist alles gesagt. Wenn ich an die gemeinsame, gegenseitige und unvergleichliche Vereinigung von uns beiden denke, wundere ich mich sehr über die Verwegenheit, mit der einige deiner besonderen Seelen den Menschen deren unauslotbare Tiefen aufdecken. Denn für mich steht fest: Wenn ich auch noch so erhaben davon spräche, würde ich doch die Herrlichkeit und Tiefe unserer gegenseitigen Vereinigung — einfach und unvergleichlich in unserem Fleisch und unserem Geist — eher mindern. Still zu schweigen und nichts zu sagen würde mir gefallen und mir sehr behagen. Und ich sehe auch, dass ich dich damit unendlich ehre. Was sage ich?  Ich werde dich sehen und in deine Gegenwart sinken. Vergib mir, wenn es scheint, dass ich nicht weiß, was ich sage und tue.


5. Was bleibt nun noch zu sagen, da wir alle beide in unserer MITTE und in unserer RUHE sind? Was man davon auch sagen könnte, ich weiß, was anders geworden ist: Du hast mich mit dir und in dich gerissen, und du bewahrst mich in deiner Göttlichkeit mit deiner Göttlichkeit.Ich bin die Deine, in Liebe ganz von Liebe verzehrt, ganz göttlich und ganz verloren in dir. Dachtest du etwa, dass du allein deine Seele besitzen würdest, ohne dass sie dich besitzen würde in der Kraft unserer heftigen Liebe, die uns beide gleichermaßen glücklich macht in unserem gemeinsamen Genuss und unserer Ruhe? Diese Liebe schließt uns immer enger zusammen, den einen und den andern, in unseren unvergleichlichen Umarmungen. Dadurch sind wir beide erfüllt von Glück, das uns hinreißt, den einen mit dem anderen, den einen für den anderen.


6. Ich will  auch nicht länger, dass deine Geliebten dich ankündigen, so dass ich krank bin von deiner Liebe[2], denn wir besitzen uns ja bereits, einer den anderen. Wir umarmen uns sehr innig in deinem unendlichen Wesen. Da bin ich nicht nur so ein bisschen in dich verliebt, sondern ich bin in die Liebe selbst hinübergegangen, die du ganz und gar bist. Und die, die dies erfährt, fragt sich, ob es Worte gibt, die so innerlich und wesentlich deine Anziehungskraft ausdrücken.Denn dein hinreißender An­blick, mein Gegenüber, reißt mich in dich hinein.


7. Scheint es dir nicht auch, dass ich meine ganze Freude an dir, meinem Gegen­über, nur auf deiner göttlichen Natur gründen und festigen will? Doch ohne aus der göttlichen Natur hinaus zu gehen, will ich mich in der Liebe und wegen der Liebe zum Fleisch, das mit deiner Göttlichkeit selbst vereinigt ist, äußern. Woher kommt die Gestalt und wem hast du sie entliehen? Ist sie nicht von mir? Bist du nicht Fleisch von meinem Fleisch, Bein von meinem Bein[3], ebenso wie Leben von meinem Leben und Liebe von meiner Liebe? Warum hast du sie doch von mir entliehen mit meiner Menschengestalt? Bedurftest du ihrer ? Warum sonst hast du sie bei mir gesucht, wenn nicht darum, dass ich mich sehr in sie verliebe, so sehr, dass ich darin meine Ruhe finde, weil ich gar eins geworden bin mit meinem Dir. Und findest du es nicht auch erstaunlich, dass ich dich ganz unverhüllt in glühender Liebe umarme, dich, der du ganz göttlich bist in deiner Göttlichkeit und ganz göttlich in deiner Menschlichkeit?


8. Sag mir, mein Leben, als deine Seele das fleischgewordene ewige Wort sah, in der Beschränktheit von Zeit und Raum ihrer Welt, um mich ganz göttlich zu machen in seiner Gott-heit -  Nein, nein, wozu dies alles und mit welchem Ziel, wenn nicht dazu, dass wir einander ganz und gar besitzen, vereint durch die göttliche Kraft unserer gegenseitigen, einfachen und unvergleichlichen Umarmungen, die auf göttliche Weise wirksam ist. Hiermit beschäftigt sein, uns hierauf einlassen, verschafft uns beiden eine ganz unsagbare Ruhe.


9. Alle und vor allem die Deinen staunen über die ungewöhnliche Rache, die du an ihnen wegen ihrer früheren Untreue genommen hast. Denn die Rache, die du genommen hast, besteht darin, sie alle mit deiner göttlichen Natur zu vereinigen. Dies geschieht in einem unaussprechlichen Geheimnis und Sakrament, das die Deinen erfahren, das ein Sakrament vereinigender Liebe ist. Durch die Kraft dieser aktiven Liebe werden sie immer mehr  in Liebe umgeformt. Das Sakrament lässt aus seinem tiefsten Grund im Moment ihrer Vereinigung einen Strom seines göttlichen Lichtes, seiner Freude und seiner Wonnen in sie überfließen, mit dem unsere göttliche Einung vollzogen wird, göttlich vollzogen in ihnen und in dir, aber noch mehr in der Vereinigung von uns beiden, worin wir du selbst in dir selbst sind, deine Liebe in deiner Liebe, deine Wonne in deiner Wonne, und deine ewige Kontemplation in deiner Freude und Kontemplation.Durch den lebendigen Strom unserer gemeinsamen und gegenseitigen Liebe werden wir dann unaufhaltbar und unaufhörlich mitgerissen in das gemeinsame, gegenseitige und einfache Genießen von uns beiden, das auf einfache Weise in der Einheit von uns beiden vollzogen wird, im Gleichsein des Geistes, der Einsicht, der Gedanken, des Verstehens, der Aufmerksamkeit, des Lichtes, des Geschmacks, der Ruhe und der Liebe. Dies ist dann, meine Liebe, deine Liebe, die zu Tage tritt, deren erstaunliche und alles übertreffende Folgen wir sind, nicht durch uns selbst, sondern durch dich, der du überfließt von übergroßer Liebe in uns und für uns.


10. Jeder weiß doch dass du, bevor du deine überbordende Liebe zu den Deinen in den Deinen  sichtbar machtest, nur dir selbst ähnlich warst. Es genügte auch, dass du dem lebendigen, umfassenden und ewigen Strom, der vom Anfang ausgeht, der der Ur-sprung deiner ewigen Schöpfung ist, in ihrem unendlichen Schöpfungsgrund ähnlich warst, wodurch du dem Anfang ähnlich warst, doch zugleich von ihm unterschieden. Wenn du dich so an mir rächst für die Beleidigungen, die ich dir früher angetan habe, dann ist die Rache nicht nur erträglich, sondern sogar sehr süß und wonnevoll, weil sie darin besteht, in Liebe zur Liebe gemacht zu werden,


11. Darf ich mich auch so rächen? Die Liebe will doch, dass ich mich auch so an dir räche, ich meine wegen des Maßes deiner Liebe, mit der du mich unvergleichlich, vollumfänglich und tiefgreifend besitzt, für dich und für mich, in dir. Darum soll meine Rache darin bestehen, dass ich nicht aufhöre, mich in meine große und starke Liebe zu dir zu versenken, tiefer und immer tiefer, von Abgrund zu Abgrund, bis ich im Liebe Geben und Liebe Empfangen ganz in dir aufgehe und von dir und deiner Liebe verzehrt werde. Indem ich dir unmittelbar, ohne Vermittler und ohne Schleier, in einfacher Betrachtung, die ich von dir in deiner Vertrautheit habe, anhänge, bin ich also ganz in dir verloren.


12. Singt frei Ihr, die ihr meine Gefährtinnen in einem solchen Schicksal seid! Singt ein neues Lied[4] voll unendlichen Lobes über seine große und maßlose Liebe. Der sich uns offenbart, dass er uns gottförmig macht mit sich und an sich und uns zu sich selbst macht  in seiner Daseinsweise.


13. Mein süßes Leben, ich habe dir im einzelnen die Mittel noch nicht genannt, die ich verwenden möchte, um mich an dir für diesen liebevollen Krieg zu rächen, den du mit mir in endloser Liebe führst. Wenn es dir so gefällt, mich immerfort mit deinen allertiefsten Liebesattacken anzu­greifen, dann werde auch ich mit der Kraft meiner Liebe, die der deinen entspricht, mein Bestes geben und unaufhörlich auf dich einstürmen, um in zahllosen Begegnungen, unendlich oft oder besser gesagt unaufhörlich einander zu trotzen:Geist gegen Geist, bis einer von uns beiden unterliegt. Vergib mir, meine Maßlosigkeit in dem, was ich sage und denke.


14. Meine lieben Freundinnen, Er hat seine unendlichen Wunder doch so staunenswert sichtbar werden lassen im tiefen und vollkommenen Vollzug unserer göttlichen Verbindung mit ihm; vollzogen in Einfachheit und vollkommener Einheit durch ihn in uns und durch uns in ihm. Sie vollzieht sich in der göttlichen Einheit Gottes selbst, wo die drei Personen der Dreieinigkeit verbleiben, um sich auf dem Höhepunkt ihrer gegebenen und empfangenen Glückseligkeit in höchstem Maße zu beglücken in der vollkommenen gegenseitigen Kontemplation, die den einen durch den anderen und den einen im anderen umschließt.


15. Habe ich etwas Falsches gesagt oder mir ausgedacht, als ich dir zu verstehen gab, dass ich besser nichts über unsere Liebe ausspreche? Denn unser Genießen und Einander-Besitzen sind jenseits alles Erklärbaren, das nicht sagbar wie unsagbare Beisammensein und Ruhen geht über alles Begreifen hinaus. Nicht wahr, es kann darüber mit keinerlei Worten etwas ausgesagt werden, weder mit ersonnenen noch mit eingegebenen Worten; das ist nur unendlich weit von dem entfernt, was es wirklich ist? Wozu dient es denn, die Dinge, die sind, darzustellen durch die Dinge, die nicht sind, und ebenso: wozu dient es, die Dinge, die nicht sind, darzustellen durch die Dinge, die sind? Wo ist diese Wahrheit, wenn nicht in dir, denn du gehst über das Sein hinaus in der Vortrefflichkeit des Seins und in der Vortrefflichkeit des Nicht-Seins, du bist im Sein und jenseits des Seins durch die Kraft der äußerst hervorragenden Leugnung.


16. Die Erfüllung dieser Wahrheit, die du bist, in uns beiden hat zur Folge, dass wir sehen, dass ich deine Liebe und unvergleichliche Seele bin, so wie aus den überdeutlichen Zeichen deiner Liebe ersichtlich ist — ob ich diese Zeichen nun bemerke oder nicht. Doch verlange ich nichts anderes, als immerzu darin verborgen zu sein, und allein von dir erkannt zu werden, der du mein Leben und mein Alles bist.


17. Was nun mein Leben? Während ich in nicht genug bekommen kann, mit dir über unsere göttliche Vereinigung zu sprechen, auf göttliche Weise in der Kraft von uns beiden vollzogen, vergesse ich darüber meine allerdringendsten Bedürfnisse. Und offen gesagt, ich werde krank vor Liebe. Denn ich habe endlosen Hunger und Durst danach, dich in eigener Person und völlig zu besitzen, verborgen unter dem Mantel deines Liebessakraments. Du hast es eingesetzt in der Kraft deiner gewaltigen Liebe zu mir.


18. Wenn du aber nicht herbeieilst, kann ich nichts anderes tun als in meiner Ungeduld zu warten.  Ich warte dann auf den so glücklichen und freudvollen Augenblick, in dem es dir behagt, voller Liebe in deine Seele einzugehen, um sie mit Freude und Jubel zu füllen. Dann wird sie im Innersten und Tiefsten ihrer selbst überschäumen von der hell strahlenden und leuchtenden Fülle deiner selbst. Dann werden Fluten sie überströmen und ihre Kräfte so sehr übersteigen, dass die Deine sich nur noch weit und breit im weiten Meer deiner Göttlichkeit treiben lassen kann, wo Er und sie eins sind, ohne Unterschied und ohne Verschiedenheit, wenn man so sagen kann.


19. Ich will hiermit nicht deine Gaben unterscheiden oder losgelöst sehen von dir selbst — sie wären dann sinnlich und nicht göttlich, wie ich es bin —‚ weil du untrennbar bist von all deinen Gaben.


20.  Weil du ein verzehrendes Feuer[5] bist, das sie verzehrt und sie ganz in sich aufnimmt, das sie eintaucht, verloren gehen lässt und tiefer und tiefer in immer tiefere Abgründe deiner menschgewordenen Göttlichkeit stürzt, stehen auch sie in Brand, von dir und in dir, sei es in ihrer Liebe oder in der deinen. In dieser Liebe werden sie gänzlich verzehrt zu deiner höchsten Seligkeit in ihnen und in dir, und für ihre Seligkeit in dir. Dazu bedarf es keiner Bewunderung, das geht über jede Bewunderung hinaus, wie ich gesagt habe.


21.  Ohne dass ich mich mit meiner Liebe auch nur irgendwie anstrengen musste, hast du deine Liebe mit einer verborgenen passiven Kraft vollzogen. Dadurch bleibe ich, einfach und unvergleichlich, in unmittelbarer Betrachtung deiner selbst, von Angesicht zu Angesicht, tief in dir selbst, still und unbeweglich.


22. Warum sollte es mich dann erstaunen, wenn ich mich so tief durch dich in dich versunken sehe, dass du mir in deiner unsagbaren Liebe sagst, dass ich wunderbar schön bin, und dass es an mir keinen Makel gibt[6]? Ich weiß sicher, dass es so sein wird, wenn ich so sehr durch dich in dich überformt bin, wie du es ersehnst. Ich will mich hier nicht weiter über die Folgen der Liebe ergehen, denn dort, wo die Liebe ist, dort sind ohne jeden Zweifel auch all ihre Folgen.


23. Mein Leben, was macht es eigentlich aus, dass du mich schön nennst, da ich nun einmal so sehr in dich verliebt bin mit einer Liebe, die alle Liebe, sogar deine Liebe übersteigt! Mit deiner Schönheit reißt du die Deinen so sehr hin, dass sie ganz und gar in diese Schönheit umgeformt werden. Durch die Kraft der Liebe, die damit verbunden ist, werden sie sehr innig gebunden, vereinigt, zusammengeflochten und festgeknotet. Es genügt mir, dass du mit mir einer Meinung bist und dieses Geheimnis mit mir teilst.


24. Ich bin deine Blutbraut, und du bist in gleicher Weise mein Blutbräutigam[7]. Schon viel zu lange sehne ich mich nach dir und danach, dich in eigener Person zu besitzen. Wenn wir die Vereinigung aufs neue feiern, müssen sich unsere Liebe, unsere Sehnsucht, und all unsere Vermögen erneuern. Du verstehst auch das wieder gut, was ein Geheimnis ist.


25. Aber bevor ich fortfahre mit meinem einfachen und glühenden Seufzen, nach Dir, den ich unendlich und immer mehr begehre, muss ich dir ganz ehrlich sagen: Ich bewundere gar nicht deine Allmacht, alles zu schaffen, nicht einmal im Falle dieses erhabenen Sakramentes, das unter seinen Gestalten — wenn man es so sagen darf — dir nur dazu dient, deine Herrlichkeit  vor mir zu verbergen und zu verhüllen. Meine unendliche Bewunderung gilt hingegen, wie ich bereits früher sagte, der Liebe. Denn es ist unmöglich, dass Liebe keine Liebe hervor-bringt — wo immer sie auch ist. Durch die Kraft ihrer Liebe ist sie mehr in dem, den sie liebt.


26. Und wenn einige mich vielleicht für braun oder schwarz halten sollten[8], ist es wahr, dass ich es bin. Ich bin schön, über jede Vorstellung und jeden Begriff von Schönheit hinaus. Schön, sage ich, bin ich in Deinem Arm und andererseits in mir selbst. Wenn er mich auf seine eigene geheime Weise ausgiebig mit seiner überbordenden Schönheit erfüllt und durchtränkt.[9] Voll Anmut bin ich danach, selbst im Äußeren, er hat die Liebe in mir geordnet, voller Liebenswürdigkeiten und Achtsamkeit. Dann tritt auch seine Weisheit zu Tage, mit der er alles vom Anfang bis zum Ende vorhersieht und durchdringt, voller Leben, voller Kraft und Einfalt.[10]


27. Doch will ich nun aufhören, mich über meine rauschhafte Liebe auszulassen, die nichts über deine Liebe zu mir aussagt, denn das ist unmöglich, sondern nur über meine Liebe zu dir Mein Herzensgrund, Halt meines Lebens, wie lange warte ich schon auf dich, voller Ungeduld und verzehrender Liebe, die mich verbrennt und verzehrt ! Lange schon habe ich dieses extreme und ausgehungerte Verlangen nach unserer gegenseitigen und personellen Vereinigung, ohne dass irgendetwas zwischen uns beide kommt! [11]


28. Denn der Südwind strömt mit würzigen Düften durch unseren Garten[12] und hingerissen bewundern diejenigen sie, die davon berührt werden. Und auch wir werden uns daran erfreuen,  wenn du in unseren Garten eintrittst. Komm mein Leben, unser Garten ist gut verschlossen und umhaint[13], so dass niemand unser liebevolles Beisammensein entdecken kann. Herrlich werden wir uns umarmen und umfangen, gleichermaßen der eine im anderen und der eine den anderen, und ohne Ende genießen wir einander, beide gleichermaßen. Danach gehen wir fort, oder besser gesagt, wir ziehen uns in unsere Kammer zurück[14], die herrlich geschmückt und für unser Zusammensein vorbereitet ist, wo du ganz besonders gern am Mittag ruhst.[15] Schon lange ist dies für dich vorbereitet und wirst du hier erwartet: zögere nicht länger und lösche meine Sehnsucht.


29.  Lass uns einander doch ganz und gar besitzen, ganz versunken in unseren Umarmungen, ohne dass die Geschöpfe mit all ihrer Betriebsamkeit uns jemals in unserer gemeinsamen Ruhe stören können.[16]


30. Doch musst du wissen, dass ich sehr eifersüchtig bin, weil  Leben und Atmen nur in dir so süß und angenehm sind. Ich kann dann auch kaum sagen, wie viel Angst ich habe, dass du mich - und wäre  es nur für einen Augenblick — allein lässt oder von mir fortgehst. Meinetwegen kannst du meine Gefährtinnen besuchen und sie mit deiner göttlichen Gegenwart erfreuen.


31. Scheint es nicht so, dass es überflüssig ist, dass ich fürchte, um deinen Genuss gebracht zu werden, wie es mir schon früher geschehen ist? Nein, was ich auch sage, ich brauche keine Angst zu haben, denn du bist mein, und ich bin dein. Wir sind nur einer in unserer beider einen Einheit.So besitzen wir einander in einfacher Liebe, in unserem einfachen und einfach einen Wesen, über das Tun HINAUS, über das Lassen hinaus, über den Überfluss hinaus, sogar über die Liebe hinaus, in Liebe, sogar Liebe ohne Liebe, in dem sehr einfachen, sehr geeinten und sehr aufmerksamen gegenseitigen Blick in uns beiden, in unserer einen untrennbaren Einheit, über das Begreifen hinaus, über das Bewundern hinaus, ohne Bewundern, in unsäglicher Unsagbarkeit, wo ich von Liebe und Glück über die Liebe hinaus und über das Glück hinaus ganz versenkt und verloren bin in dem einen Gegen­über, das mich unveränderlich in meiner Ekstase festhält, in unablässiger Aufmerksamkeit ohne Aufmerksamkeit dir anhängend in dir und zu dir hin, meinem unvergleichlichen Gegenüber und Du. Möge dies begreifen, wer dazu im Stande ist, möge dies ausdrücken, wer es versteht. Kann er es aber nicht, dann möge er schweigen. Denn hier in der tiefen, fortwährenden und unsagbaren STILLE spricht unser inniger, gegenseitiger Genuss von etwas anderem, das unendlich mehr bedeutet und ganz darüber hinausgeht.


32. Das ist nicht nur eine Verbindung von Person zu Person zwischen uns beiden, sondern eine unvergleichliche Einheit von uns beiden, die über eine Verbindung und eine tiefe und einfache Einheit unserer Personen hinausgeht. In dieser Verbindung sind wir ein Einziger in einfacher Einheit. Hierüber muss jedes Geschöpf aus Ehrfurcht und Hochachtung SCHWEIGEN........



WEITERE TEXTE KÖNNEN ANGEFRAGT WERDEN




[1] Gen 2,23

[2] Hld 5,8.

[3] Gen 2,23.

[4] Ps 98,1.

[5] Dt 4,24.

[6] Hld 4,7.

[7] Ex 4,25.

[8] Hld 1,5.

[9] Hld 2,4.

[10] Weish 7,22-24.

[11] Hld 4,16.

[12] Hld 4,16.

[13] Hld 4,12.

[14] Hld 3,4.

[15] Hld 1,7.

[16] Hld 2,7.